Die Johannes-Passion des Ott Siegfried Harnisch, von 1604 bis 1623 Kantor an der Johanniskirche in Göttingen, wurde 1621 in Goslar gedruckt und geht möglicherweise auf einen Entwurf des Komponisten noch aus seiner Osnabrücker Zeit als Kapellmeister des Bischofs Philipp Sigismund zwischen 1600 und 1604 zurück. Als sog. responsoriale Passion gehört sie historisch in "die Reihe von Umkompositionen" des Walterschen Passionstypus. In diesem ging es darum, das liturgische Singen der Leidensgeschichte Jesu im Zuge der Reformation in ein der deutschen Sprache entsprechendes umzuwandeln. Im Laufe der Entwicklung solcher Passionshistorie wurde das Singen mit Exordium und Conclusio versehen; auch die solistischen Rezitationen wurden mehr und mehr modernisiert und die Einwürfe der Menge (turba) "zunehmend motettisch aufgelockert und dramatisiert" (F. Blume). Innerhalb dieser Entwicklung bis zu den späten Passionen von Heinrich Schütz stellt Harnischs Passion eine ernstzunehmende Station dar. Gleichwohl bleibt Harnisch trotz der Fünfstimmigkeit seiner Turba-Sätze mit seinem Entwurf am Rahmen liturgischen Singens orientiert. Als ein solches sollte seine Passion auch heute wieder realisiert werden können.